Neue Perspektiven auf Täteri:innenschaft im bürokratisch-administrativen Kontext.
Die Baumgart-Stiftung für Zeitgeschichte fördert das Dissertationsprojekt "Der Mitarbeiter:innenstab des Inspekteurs der Konzentrationslager / der Amtsgruppe D des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes 1939–1945" von Andreas Pupkes.

Rudolf Höß, der Lagerkommandant des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, charakterisierte den Inspekteur der Konzentrationslager (IKL), Richard Glücks, in seinen nach dem Krieg während der polnischen Untersuchungshaft verfassten Aufzeichnungen als einen „typische[n] Büromensch[en], ohne Sinn für praktische Dinge. Er vermeinte alles vom Schreibtisch aus dirigieren zu können.“ Mit dieser Einschätzung lieferte Höß eine frühe Grundlage für das Narrativ des vom Schreibtisch aus agierenden SS-Täters, der mittels Erlassen, Anordnungen und Befehlen das Konzentrationslagersystem steuerte. Diese Typisierung fand später Eingang in die Beschreibung des sogenannten „Schreibtischtäters“ bzw. der „Schreibtischtäterin“ und prägte insbesondere die Rezeption jener Täter:innen, die außerhalb der Lager und Vernichtungsstätten, etwa in Berliner Ministerien oder – wie im Falle des IKL – in Oranienburg tätig waren.
Noch in jüngerer Vergangenheit stand der historische Ort der ehemaligen Dienststelle des Inspekteurs der Konzentrationslager unter der Bezeichnung „Museum der Schreibtischtäter“ im Fokus medialer Aufmerksamkeit. Das zugrundeliegende Täter:innenbild beruht einerseits auf der Vorstellung des IKL als rein bürokratischer SS-Behörde, andererseits verweist es auf die weitgehende Forschungslücke hinsichtlich des dort tätigen Personals – sowohl der SS-Männer als auch der wenigen weiblichen Angestellten – und deren konkreter Handlungsspielräume.
Der Historiker Andreas Pupkes, Absolvent der Humboldt-Universität zu Berlin, hat sich bereits als Mitarbeiter im Ausstellungs- und Digitalisierungsprojekt „Verfolgung und Verwaltung: Der Inspekteur der Konzentrationslager und die administrative Steuerung der Massenverbrechen“ bei der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Museum Sachenhausen intensiv mit der Dienststelle des Inspekteurs der Konzentrationslager und ihres Personals beschäftigt.
In seinem Promotionsvorhaben unterzieht er diese nun einer vertieften Analyse. Er verfolgt das Ziel, das etablierte Täter:innenbild kritisch zu hinterfragen, zu dekonstruieren und neue Perspektiven auf nationalsozialistische Täter:innenschaft im bürokratisch-administrativen Kontext zu entwickeln.
Bereits Franz Neumann konstatierte 1942 in seiner Studie Behemoth, dass im nationalsozialistischen Staat „zwei gleichzeitig auftretende Entwicklungen“ zu beobachten seien: „einerseits dem enormen zahlen- und funktionsmäßigen Wachstum der staatlichen Bürokratien, andererseits die ideologischen Verteufelungskampagne, die sich gegen die Bürokratie richtet und von einer Kampagne zur Machtstärkung der Partei begleitet wird.“ Trotz der ideologischen Abwertung bürokratischer Strukturen als formalistisch und bewegungsfremd nutzte der nationalsozialistische Staat bürokratische Apparate gezielt für seine Herrschaftsausübung. Diese Ambivalenz zeigt sich insbesondere an jenen nach 1933 neu geschaffenen Institutionen, die Michael Wildt als „spezifische nationalsozialistische Institutionen neuen Typs“ bezeichnet. Auch die Dienststelle des IKL lässt sich in diese Kategorie einordnen. Was unter einem spezifisch nationalsozialistischen Verwaltungshandeln zu verstehen ist, stellt weiterhin ein Forschungsdesiderat dar. Das Promotionsprojekt widmet sich daher der Frage nach der spezifischen Verbindung zwischen einem von der Mehrheit ideologisch abgelehnten, jedoch faktisch etablierten Bürokratieverständnis und der nationalsozialistischen Auffassung von Exekutive im Kontext von Verfolgung und Gewalt. Im Mittelpunkt stehen dabei unter anderem folgende Fragen: Wie lässt sich Bürokratie im Kontext einer SS-Behörde wie dem IKL definieren? Inwiefern greifen klassische Konzepte – etwa jene Max Webers – zur Beschreibung bürokratischer Strukturen im Nationalsozialismus? Welche Bedeutung kam militärischen Hierarchien und Handlungslogiken innerhalb dieser Verwaltungsstruktur zu?
Das Dissertationsprojekt versteht sich somit als wissenschaftlicher Beitrag zu den Themen Täter:innenschaft, Verwaltung und Gewalt im Nationalsozialismus und zielt darauf ab, die Handlungsspielräume bürokratischer Akteure jenseits einfacher Täter:innenkategorisierungen differenziert herauszuarbeiten. Es wird an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt und von Prof. Dr. Drecoll betreut. Die Baumgart-Stiftung für Zeitgeschichte fördert das Projekt durch ein Promotionsstipendium.
(Verwendete Quelle: Projektbeschreibung Andreas Pupkes)
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